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Am Donnerstagmorgen begab sich Rachel Garvey zur Whipple-Farm hinaus, eine Frau mit festen Absichten: Sie musste aus Temptation fort, bevor sie verrückt und wie ihre Mutter werden würde.

Ihr Plan war einfach: Sie würde Clea Whipple ihre Dienste für den Film anbieten und sich dann unentbehrlich machen, sodass Clea sie bei ihrer Abreise mitnehmen würde. Ihre Mutter erzählte ihr jeden Tag, was für ein Schatz sie sei, also würde sie von nun an Cleas Schatz sein. Rachel verspürte keinerlei Schuldgefühle, ihre Mutter zu verlassen. Ihre beiden älteren Schwestern lebten immer noch in der Stadt und konnten die Rolle der Schätze übernehmen, sobald sie fort war. Die Zwillinge waren sowieso längst an der Reihe.

Als sie sich der Veranda näherte, saß Clea auf der obersten Stufe im Sonnenlicht, attraktiv wie immer. Mehr als attraktiv. Umwerfend schön mit ihren himmelblauen Augen und der magnolienfarbenen Haut. Als Clea sie mit einer Stimme begrüßte, die in ihren Ohren wie Musik klang, sagte Rachel: »Wirklich, ich habe noch nie eine so tolle Frau wie Sie gesehen.«

Clea lächelte, was sie noch toller machte.

Guter Anfang, dachte Rachel und ging zu ihr. »Ich bin Rachel Garvey«, stellte sie sich vor und streckte ihre Hand aus. »Ich dachte, Sie könnten vielleicht jemanden brauchen, oder?«

»Garvey?« Cleas Lächeln verschwand. »Irgendwie mit Stephen Garvey verwandt?«

»Ich bin seine Tochter«, erklärte Rachel. »Hmm, ich bin hergekommen, um zu fragen, ob Sie vielleicht Hilfe gebrauchen könnten.«

Clea schüttelte den Kopf, doch bevor sie etwas sagen konnte, schlug die Fliegentür zu, sodass Rachel aufsah und eine rothaarige Frau in engen Jeans und einem pinkfarbenen T-Shirt erblickte, das über ihrem Bauchnabel zusammengeknotet war.

»Hi.« Die Rothaarige musterte Rachel mit unverhohlener Neugier. »Ich bin Amy.«

»Ich heiße Rachel. Ich bin hergekommen, um zu helfen.« Rachel hielt ihr die Hand hin, bevor sie bemerkte, dass die Rothaarige Farbspachtel in den Händen hielt. »Streichen Sie?«, fragte sie hoffnungsvoll.

Amy deutete mit dem Kopf zur rechten Seite der Veranda. »Nur die Wand der Veranda für einen weißen Hintergrund.« Sie reichte Clea einen der Spachtel, die ihn betrachtete, als habe sie so etwas noch nie gesehen.

»Stopp«, meinte Rachel. »Auf dem Holz dort ist schon fast keine Farbe mehr, es würde die ersten sechs Schichten weißer Farbe aufsaugen. Sie müssen eine Grundierung auftragen.«

»Oh.« Amy blinzelte sie an. »Hör mal, wir wollen hier keinen Meisteranstrich fabrizieren, wir brauchen nur einen netten Hintergrund.«

»Dann sollten Sie kein Weiß verwenden. Weiß ist nicht sehr schmeichelhaft.« Rachel lächelte Clea an. »Sie brauchen eine warme Farbe, deren Ton auf sie zurückstrahlt.«

»Sie hat Recht.« Clea musterte Rachel noch einmal von Kopf bis Fuß, und Rachel blieb mit eingefrorenem Lächeln stehen und dachte, Ich mag dich nicht, aber wenn du mich mit nach Hollywood nimmst, werde ich mich schon noch an dich gewöhnen.

»Was also schlägst du vor?« Amy klang interessiert, und Rachel wandte sich ihr erneut zu, denn sie war offenbar leichter zu überzeugen.

»Ich könnte Ihnen sehr günstig Pfirsichfarbe beschaffen«, sagte sie zu Amy. »Wir haben jede Menge davon für einen Auftrag bestellt, der mittendrin abgeändert wurde. Ich besorge Sie Ihnen zum Selbstkostenpreis und helfe Ihnen gerne umsonst dabei. Ich möchte einfach nur Ihre Arbeit kennen lernen.« Wieder lächelte Rachel zu Amy auf, dankbar, dass Amy auf der obersten Stufe stand, sodass es Rachel leichter fiel, klein und unschuldig und beflissen auszusehen.

»Du bist angeheuert«, sagte Amy und reichte ihr den anderen Spachtel.

Mit wieder gewonnener Selbstsicherheit gab Rachel ihn ihr zurück. »Sie schaben, ich hole die Farbe.« Sie drehte sich um, bevor Amy argumentieren konnte, und Amy rief ihr nach: »Warte, brauchst du Geld?«

»Oh, nein«, gab Rachel zurück. »Ich schreibe es im Geschäft auf Ihren Namen an.«

»Phantastisch«, meinte Amy.

»Damit meint sie wohl Garveys Kramladen, oder?«, fragte Clea bedächtig.

»Was?«, wollte Amy wissen, während Rachel im Gehen zurückwinkte, fest entschlossen, sich als ein solcher Schatz zu erweisen, dass Amy nicht mehr im Traum daran denken würde, sie wieder gehen zu lassen.

Die Pfirsichfarbe stellte sich als zu dunkel für die Veranda heraus, aber vermischt mit dem Weiß, das Rachel ebenfalls mitgebracht hatte, war sie perfekt, ein blasses Zartrosa statt der Farbe von Pfirsichen. Bis zum Mittag hatte Rachel die Grundierung aufgetragen, und während Amy und Clea im Vorgarten über Scheinwerfer und Kamerawinkel diskutierten, hörte sie zu, begriff und begann, das Verandageländer zu streichen.

Pfirsichfarbe für die Pfosten und Geländer, zartrosa für die Mittelteile, weiß für die Feinheiten.

»Wow«, meinte Amy, als sie um die Mittagszeit auf die Veranda stieg. »Das sieht gut aus. Richtig hübsch.«

»Danke«, erwiderte Rachel, betrachtete Clea jedoch eingehender, da diese die Stirn runzelte.

»Wir sollten das ganze Haus streichen«, sagte Clea schließlich, und Amy widersprach: »Nein, sollten wir nicht. Bist du verrückt geworden?«

»Dieser Film ist eine Betriebsausgabe«, erklärte Clea ihr. »Von der Steuer absetzbar. Die Farbe ist folglich Teil dieser Betriebsausgabe. Und ich will das Haus verkaufen.« Sie nickte Rachel zu. »Streich das ganze Haus.«

»Nein«, sagte Rachel. »Wir können die gesamte Vorderveranda streichen, wenn Sie auf beiden Seiten filmen möchten, das dauert nicht lange. Aber ich streiche keine ganzen Häuser. Allerdings kann ich die Coreys für Sie anrufen, die streichen alles.«

»Sind die teuer?«, wollte Clea wissen.

»Sie können es doch absetzen«, erinnerte Rachel sie.

»Ich werde darüber nachdenken.« Clea schlenderte zum Rand des Gartens.

Rachel drehte sich um und sah, wie Amy sie angrinste. »Ich mag dich, Kleine«, sagte sie. »Du erinnerst mich an mich selbst.«

Wieder fiel die Fliegentür ins Schloss. Eine Brünette trat aus dem Haus und begann: »Wenn Ihr Hunger habt -« Bei Rachels Anblick brach sie ab, und Amy beeilte sich, die entstandene Stille zu füllen. »Das ist meine Schwester Sophie«, erklärte sie Rachel, und erläuterte Sophie danach Rachels Ideen und die Farbwahl, ohne jedoch ein einziges Mal den Namen Garvey zu erwähnen.

Sophie lächelte Rachel höflich an. »Sehr nett von dir, uns deine Hilfe anzubieten, Rachel, aber -«

Rachel versteifte sich, doch Amy sagte: »Warte einen Moment. Komm mal mit.«

Amy schleppte ihre Schwester in den Garten, und Rachel dachte, dass sie noch nie in ihrem Leben zwei unterschiedlichere Frauen gesehen hatte, Amy in pinkfarbenem Stretch und Sophie in locker sitzendem Khaki. Amy drehte Sophie um und sagte: »Sieh dir die Veranda an.«

Sophie verschränkte die Arme und musterte die Veranda, während Amy es ihrer großen Schwester gleichtat, und in diesem Augenblick bemerkte Rachel, wie sehr sie sich ähnelten. Die gleichen großen braunen Augen, das gleiche lockige Haar, der gleiche volle Mund, die gleiche unglaubliche Konzentration, sogar die gleichen weißen Turnschuhe, obwohl die von Amy pinkfarbene Schnürsenkel hatten und mit goldenen Spiralen verziert waren. Sie standen dicht beieinander, lehnten sich gar ein wenig aneinander, und Rachel war unvermittelt davon beeindruckt, welch große Zusammengehörigkeit sie ausstrahlten. Sie hatte ihren Schwestern nie so nahe gestanden, doch Sophie und Amy waren ein Team.

»Was meinst du?«, fragte Sophie.

»Mir gefällt s«, antwortete Amy.

»Überredet«, sagte Sophie. »Die Farbe ist klasse.«

»Nur eins noch«, meinte Amy. »Ihr Nachname ist Garvey.«

Sophie zuckte zusammen, und Rachel dachte, Das war‘s dann wohl.

»Gib ihr eine Chance«, bat Amy. »Warum sollte sie für die Übeltaten ihres Vaters bezahlen?«

»Hey.« Sophie trat einen Schritt zurück. »Komm mir bloß nicht damit.«

»Ich werde ganz bestimmt hart arbeiten«, rief Rachel von der Veranda.

Sophie ging zu ihr. »Da bin ich mir sicher, Kleine.« Sie betrachtete das gestrichene Verandageländer, das warm im Sonnenlicht schimmerte. Sie überlegte einen Moment, bevor sie nickte. »Komm und iss etwas mit uns. Die Verandawand kannst du heute Nachmittag streichen und Amy bei allem helfen, was ansteht. Aber wenn dein Vater hier auftauchen sollte, bist du gefeuert.«

Rachel entspannte sich, als die Erleichterung sie durchflutete. »Er wird es gar nicht erst erfahren. Ich werde Ihnen eine große Hilfe sein, Sie werden sehen. Ich werde Ihnen alles Mögliche abnehmen.«

Nach dem Mittagessen wurde, Rachels besten Vorsätzen zum Trotz, die Sache jedoch schwierig, als Rob Lutz mit seinen Eltern auftauchte. Clea bekam beinahe einen Herzschlag, als sie Rob erblickte, und Rachel konnte verstehen, warum, denn beim ersten Blick in dieses Gesicht war schwerlich zu erkennen, was für ein Trottel er war. Auf die gleiche Weise hatte Rob es auch geschafft, Rachel um ihre Jungfräulichkeit zu bringen: Er hatte nichts gesagt, sondern sie einfach nur mit diesem Gesicht angelächelt. Das war ihr mit Sicherheit eine Lehre gewesen.

»Ist das dein Sohn?«, hatte Clea Robs Dad Frank ungläubig gefragt, woraufhin Frank, der ganz dicht neben ihr stand, sie von oben herab idiotisch angegrinst hatte. Das machte Robs Mutter Georgia wütend, was Rachel ebenfalls verstehen konnte, allerdings hätte sie, wäre sie mit Frank verheiratet gewesen, nach jemandem Ausschau gehalten, um ihn loszuwerden. In diesem Moment legte Clea ihren Arm um Georgia und rief: »Sophie, darf ich dir Georgia vorstellen?«

Mit zusammengekniffenen Augen starrte Georgia zur Veranda, wo Rachel, Sophie und Amy standen, und sie sah nahezu zwanzig Jahre älter aus als Clea, was daran liegen mochte, dass sie ihr ganzes Leben lang in der Sonne gebrutzelt hatte, bis ihre Haut wie Schuhleder aussah. Und alles nur, um ihrem Ideal, der Blondine in der Coppertone-Sonnencremewerbung, nachzueifern. Das jedenfalls hatte sie jeden Sommer zu Rachel gesagt, seitdem Rachel mit Rob ausging: »Komm und leg dich zu mir, meine Liebe, damit wir wie die Coppertone-Blondinen aussehen. Die Leute werden uns für Schwestern halten .« Wunderbar.

»Georgia und ich haben zusammen unseren Schulabschluss gemacht, Sophie! Ist das nicht toll?«, rief Clea, und Sophie erwiderte: »Und keine von euch sieht einen Tag älter aus.« Der strenge Blick, den sie Clea zuwarf, um sie zum Schweigen zu bringen, machte sie Rachel umso sympathischer.

Clea lachte nur und rief zu Rob zurück: »Warum kommst du nicht hoch auf die Veranda?« In diesem Moment musste Sophie ihn zum ersten Mal wahrgenommen haben, denn sie sagte: »Ach du lieber Himmel.«

»Was?«, fragte Amy.

»Sieh dir an, wie er Clea anstarrt«, raunte Sophie.

»Als wäre sie Schlagsahne, und er hätte einen Löffel.« Amy nickte.

Nun, das war typisch Rob. Immer auf der Suche nach Sex. Rachel wusste nicht, ob Sex generell oder nur mit Rob schlecht war, aber ihretwegen konnte Clea ihn haben.

Sophie ging zum oberen Ende der Treppe. »Kommt doch hoch auf die Veranda, dann trinken wir gemeinsam eine Limonade.« Und sobald sie Clea, Frank und Georgia auf der rechten Seite der Veranda in Pose gesetzt hatte, nicht ohne die Warnung, von der rosa gestrichenen Wand Abstand zu halten, begann Amy zu filmen.

Rachel drückte Rob einen Spachtel in die Hand und sagte: »Wir müssen noch die andere Seite der Veranda abkratzen.« Rob erwiderte nur: »Cool.« Während er arbeitete, wandte er den Blick nicht von Clea, die oben auf dem Verandageländer saß und anbetungswürdig aussah. Clea beobachtete Rob aus dem Augenwinkel, während Frank ihr lachend und flirtend gegenübersaß und Georgia, die zwischen ihnen auf der Schaukel Platz genommen hatte, wie eine verschrumpelte Coppertone-Kröte aussah.

Sophie war auf dem Weg in den Garten, um mit Amy zu sprechen. Sie machte einen besorgten Eindruck. Auch nach nur wenigen kurzen Stunden hatte Rachel begriffen, dass Sophie die Dinge gerne ruhig und organisiert anging. Als daher Phin Tucker unbemerkt hinter ihr auftauchte und etwas zu ihr sagte, sodass sie einen Riesensatz machte, hätte Rachel ihm sagen können, dass dies ein schlechter Zug gewesen war. Er und Wes hatten hinter dem Kombi der Lutz‘ geparkt, und während Wes kurz mit Amy gesprochen hatte und dann im Haus verschwunden war, ging Phin zu Sophie und blieb bei ihr stehen. Also wollte er etwas - nicht schwer zu erraten, was aber er fing es völlig verkehrt an. Nun, das würde er schon noch merken. Früher oder später bekam Phin alles, was er wollte.

»Hey«, sagte Rob hinter ihr. »Die Arbeit wartet.«

»Klar«, erwiderte Rachel und kreuzte die Finger in der Hoffnung, dass Phin sich so geschickt wie immer anstellte.

Ihre Zukunft hing davon ab.

»Ich mache mir ein wenig Sorgen wegen Clea«, hatte der Bürgermeister zu Sophie dort draußen im Garten gesagt. »Ich hatte ihr neun Stiche zu verdanken. Frank könnte sie ins Krankenhaus bringen.«

Sophie beobachtete, wie Frank sich auf der Veranda vor den Augen seiner Frau, die Mordgelüste zu hegen schien, zum Narren machte. »Clea ist nicht die Einzige, die ihm wehtun könnte.« Sie drehte sich wieder zum Bürgermeister. »Wieso hat sie Ihnen neun Stiche verpasst?«

»Ich habe in ihren Ausschnitt geguckt und bin vom Fahrrad gefallen.«

Sophie musterte ihn voller Geringschätzung, sodass er hinzufügte: »Hey, ich war zwölf. Sie hat sich vorgebeugt. Ich konnte nichts dafür.«

Im Sonnenlicht kam seine makellose Attraktivität perfekt zur Geltung, was Sophie nun noch mehr ärgerte, da sie wusste, was für ein Perversling er mit zwölf gewesen war. Am liebsten hätte sie ihm das ins Gesicht gesagt, entschied sich jedoch dagegen, persönlich zu werden. Sie wollte ihn nur loswerden. »Sagten Sie nicht, Sie wollten nach dem Strom sehen?«

»Nein«, erwiderte er. »Ich sagte, Amy bat mich, nach dem Strom zu sehen.«

»Auch gut«, meinte Sophie und überließ es Amy, mit der peinlichen Situation auf der Veranda fertig zu werden. Fünf Minuten später stand sie im dunklen Keller des Farmhauses und wünschte sich auf die Veranda zurück. Im Tageslicht konnte sie wenigstens sehen, was der Bürgermeister vorhatte. »Ähem, was machen wir denn jetzt, Mr. Tucker?«

»Phin«, sagte er. »Das hier ist der Sicherungskasten. Lassen Sie uns einen Blick hineinwerfen, um zu sehen, ob Ihr Haus kurz vor dem Abfackeln steht.«

»Wo sind denn die kleinen Schalter?« In dem dämmrigen Licht spähte Sophie über seine Schulter. Sie rechnete mit einem Hauch eines teuren Rasierwassers, als sie sich näher beugte, nahm jedoch stattdessen nur seinen frischen Geruch nach Seife und Sonne wahr. Sie schluckte und konzentrierte sich auf den Sicherungskasten.

Sie konnte keine Schalter erkennen, lediglich kleine runde Dinger, die unheilvoll aussahen.

»Schalter unterbrechen den Strom«, erklärte Phin. »Dafür braucht man Schaltkreise, keine Sicherungen. Das hier ist die alte Methode.«

»Ist die denn besser?«

»Nein. Aber aufregender.«

»Auf Aufregung kann ich verzichten.« Sophie trat einen Schritt zurück. »Ich will funktionierende, isolierte, hübsche kleine Schalter. Ich war schon immer von der Freundlichkeit Fremder abhängig. Kümmern Sie sich darum.«

»Das ist das Problem von euch Stadtmenschen. Keinen Sinn für Abenteuer. Lassen Sie mich Ihnen erklären, wie es funktioniert.«

»Nein«, sagte Sophie bestimmt. »Ich will es gar nicht wissen. Ich will Schalter. Wie die funktionieren, weiß ich.«

»Sie können aber keine Schalter haben. Finden Sie sich damit ab.«

Sophie schüttelte den Kopf. »Ich habe von solchen Dingern gelesen. Wenn man Münzen hineinsteckt, bekommt man einen Schlag.«

»Dann sollten Sie keine hineinstecken.« Er hörte sich an, als würde er mit Mühe ein Lachen unterdrücken. »Wenn Sie das tun, haben Sie einen Stromschlag verdient. Außerdem würden Sie damit das Haus abbrennen. Stecken Sie keine Münzen hinein.«

»Kein Problem. Ich werde mich von diesem Ding fern halten.« Sophie ging zur Treppe. »Vielen Dank, aber das reicht.«

Als sie bemerkte, dass er ihr nicht folgte, blieb sie stehen. »Sie können jetzt wieder mit hinaufkommen. Die Physikstunde ist beendet.«

Er grinste sie in dem Licht an, das von der Küche auf die Treppe fiel. »Feigling«, sagte er, und der herausfordernde Ton in seiner Stimme ließ ihren Puls ein wenig schneller schlagen.

»Nur bei Sachen, die tödliche Stromschläge austeilen«, antwortete sie. »Ich gehe gern auf Nummer sicher.« Sie floh die Stufen hinauf und legte Dusty in Memphis auf, um ihre Nerven zu beruhigen.

Phin folgte ihr wenige Minuten später.

»Sie sind alle funktionstüchtig«, erklärte er ihr und wusch seine Hände an der Spüle. »Schreien Sie, wenn es Ärger geben sollte, und Wes oder ich werden herkommen und uns darum kümmern.«

Sophie betrachtete ihn argwöhnisch. »Das ist überaus zuvorkommend von Ihnen.«

»Wir sind überaus zuvorkommende Menschen.« Phin lächelte ihr zu, und für einen kurzen Augenblick hatte Sophie das Gefühl, dass er vielleicht doch kein so übler Kerl war, doch dann sagte er: »Erzählen Sie mir von dem Film.« Sie trat einen Schritt zurück.

»Ich habe Ihnen doch schon gesagt, es ist nur eine Homestory«, antwortete sie. »Es war Cleas Idee, und sie hat uns engagiert, weil wir bei ihrem Hochzeitsfilm gute Arbeit geleistet haben. Amy dreht auf der Veranda, weil die einfacher zu beleuchten ist.« Genau in diesem Moment gingen die Lichter in der Küche aus, und sie hörte Amy draußen auf der Veranda fluchen: »Oh, Mist.«

»Wenn es einen Schalter gäbe«, meinte Sophie, »könnte ich ihn jetzt umlegen.«

»Aber leider ist es eine Sicherung.« Phin wies zur Kellertür. »Also gehen Sie sie schon auswechseln. Wie ein großes mutiges Mädchen.«

»Niemals, nicht in diesem Leben«, erwiderte Sophie. Phin seufzte und ging nach unten, und kurze Zeit später ging das Licht auf der Veranda offenbar wieder an, denn sie hörte Amy »Danke!« rufen.

»Sie machen Ihre Sache gut«, sagte sie, als er wieder die Treppe heraufkam, in dem Bemühen, nett zu sein. Schließlich war er nicht Chad. Genau. »Dafür bekommen Sie eine Limonade.«

»Wissen Sie, ein wenig Abenteuer in Ihrem Leben bringt Sie nicht um«, sagte er, als er sich an den Tisch setzte. »Vor allem, wenn es nur darum geht, eine Sicherung auszuwechseln.«

»Als Kind hatte ich genügend Abenteuer«, sagte Sophie abweisend, während sie ihm einschenkte. »Zum Ausgleich führe ich ein ruhiges Erwachsenenleben.«

»Das ist Verschwendung«, meinte Phin. »Machen Sie auch ruhige Filme?«

Mit einem Knall setzte Sophie ihm ein Glas Limonade so heftig vor die Nase, dass ein wenig davon auf den Tisch schwappte. »Warum sind Sie derart an dem Film interessiert?«

»Warum sind Sie derart feindselig?« Er stand auf und riss ein Küchentuch von der Papierrolle neben der Spüle ab, um die Pfütze aufzuwischen. »Seitdem ich mich vorgestellt habe, sind Sie verkrampft.«

»Es war die Art und Weise, wie Sie sich vorgestellt haben«, erklärte Sophie. »Außerdem habe ich Ihnen alles gesagt. Es geht um einen kurzen, improvisierten Film über Clea, den Clea uns gebeten hat zu drehen, weil ihr Amys Arbeit gefällt.«

»Und Ihre gefällt ihr nicht?« Phin nahm wieder Platz und nippte an seiner Limonade. »Sehr lecker. Vielen Dank.«

»Seien Sie nicht so gönnerhaft, trinken Sie einfach«, sagte Sophie. »Clea will Amy, weil ich nicht improvisiere. Ich drehe die üblichen Parts der Hochzeiten und kümmere mich um die geschäftlichen Angelegenheiten, während Amy die besonderen Szenen am Rande erfasst und das Video schneidet. Sie ist die Künstlerin.«

»›Besondere Szenen‹?«, hakte Phin nach.

Sophie verschränkte die Arme und lehnte sich gegen die Küchenspüle. »Die Dinge, die ich filme, können die Leute von jedem Videofilmer bekommen, die Szenen, die Amy einfängt, allerdings nicht. Aber wenn sie nur das bekommen, was Amy filmt, wären sie wütend, weil die Leute in ihren Hochzeitsvideos eben solche Dinge sehen wollen wie ihr Treueversprechen. Also arbeiten wir zusammen.«

»Und warum macht Clea diesen Film?«

Sophie funkelte ihn an. »Was ist Ihnen an diesem Film so wichtig?«

»Gar nichts, solange Sie vor Mittwoch hier verschwunden sind.«

»Nun, wir fahren Sonntag ab.«

»Bestens«, sagte Phin. »Außerdem war ich nicht gönnerhaft, die Limonade ist wirklich lecker.«

»Danke«, sagte Sophie und fühlte sich über dieses Eingeständnis fast ein wenig enttäuscht.

»Und was immer ich Ihnen in einem vorigen Leben getan haben mag, das Sie so verdammt wütend macht, ich entschuldige mich dafür.« Phin lächelte sie an, eindeutig daran gewöhnt, dass jeder, der ihm über den Weg lief, seinem Charme erlag. »Würden Sie jetzt damit aufhören, mich anzugiften?«

»In Anbetracht dieses früheren Lebens ist eine Entschuldigung nicht annähernd genug. ›Mein Name ist Inigo Montoyas kann ich dazu nur sagen.«

»Wer?«, fragte Phin.

Sophie griff nach dem Krug und fragte: »Limonade?«, was sich drohender anhörte, als beabsichtigt.

Phin schob sein Glas zurück. »Nein, ich habe genug, danke.«

Er stand auf und ging auf die Veranda hinaus, und Sophie verspürte den Anflug eines schlechten Gewissens, weil sie ihren Frust an ihm ausgelassen hatte. Sie stellte sein Glas in die Spüle und trat auf die niedrige, aber breite Hinterveranda hinaus, um ihre Ruhe wiederzufinden. Wenn sie nur dieses ständig auf ihr lastende Gefühl loswerden könnte, dass ihr etwas Furchtbares bevorstand Etwas Pelziges strich um ihre Beine. Sie blickte an sich herab und schrie auf.

Da war ein Tier - ein großes Tier, es reichte ihr fast bis zu den Knien - mit verfilztem rotbraunem Fell, einem Körper wie ein kleines Fass und kurzen weißen, schwarz gesprenkelten Beinen. In ihrem ganzen Leben hatte Sophie so etwas noch nie gesehen. Bei ihrem Aufschrei hatte es sich zusammengekauert - in Angriffsposition, da war sie sicher -, und als es sich bewegte, machte sie einen Satz zurück gegen die Hauswand und schrie erneut auf.

Phin riss die Fliegentür auf und stürmte auf die Veranda. »Was ist los?«, fragte er, und Sophie deutete nach unten. Seine Spannung wich Amüsement. »Das ist doch nicht Ihr Ernst. Sie schreien wegen eines Hundes?«

Das soll ein Hund sein? »Sie beißen«, rechtfertigte Sophie sich. Das erschien nahe liegend.

»Einige schon«, meinte Phin. »Aber der hier scheint harmlos zu sein.«

Sophie folgte seinem Blick zu dem Hund, der sich auf den Rücken gerollt hatte und seine vier weißen Stummelbeine in die Luft reckte. »Er sieht komisch aus.«

»Er hat den Körperbau eines Welsh Corgi.« Phin legte den Kopf schief, um das hingestreckte Tier näher zu betrachten. »Mit einigen anderen Anteilen, um die Mischung interessant zu machen.« Er musterte das Tier eingehend. »Gott weiß, woher diese schwarzen Flecken kommen. Wahrscheinlich ein Highway-Hund.«

»Ein Highway-Hund.« Sophie schaute auf den Hund hinunter, der sie nun auf dem Rücken liegend ansah. Er war über und über mit Schlamm bespritzt, zitterte am ganzen Körper und war vermutlich das hässlichste Lebewesen, das Sophie je gesehen hatte. Seine großen, schwarz umrandeten braunen Augen starrten sie kläglich an, und sie schämte sich prompt dafür, dass sie ihn hässlich fand.

Aber, beim Herrn im Himmel, das war er.

»Die Leute lassen die Hunde, die sie nicht mehr wollen, einfach am Highway zurück«, erklärte Phin mit unterdrückter Wut in der Stimme, die jedoch genauso sorgsam kontrolliert war wie alles andere an ihm.

»Sie glauben wohl, die Hunde würden zu frei lebenden Wildtieren, aber die meisten werden auf der Suche nach dem Auto ihrer Besitzer sofort überfahren.«

»Das ist ja schrecklich.« Schockiert starrte sie auf den Hund hinunter, der, immer noch auf dem Rücken liegend, ihren Blick unverwandt erwiderte aus diesen anrührenden braunen Augen, die gleichzeitig komisch und Mitleid erregend wirkten. »Ob er Hunger hat?«

»Wahrscheinlich, aber wenn Sie ihn füttern, werden Sie ihn nie wieder los.«

Doch da waren diese Augen. Sophie betrachtete den Hund noch eine Minute, während er sie unverändert ansah, bevor sie in die Küche ging, um ein wenig Schinken zu holen.

Fünf Minuten später saß Sophie auf der Treppe der Hinterveranda und fütterte den dankbaren Hund vorsichtig mit Schinken. »Ich hatte nie einen Hund«, erklärte sie Phin.

»Wir hatten immer einen.« Phin lehnte sich gegen den Verandapfosten. »Mein Vater hat nie einen Highway-Hund fortgejagt. Wenn wir zu viele hatten, hat er für diejenigen, die wir nicht behalten konnten, ein Zuhause gesucht.«

Sophie hielt dem Hund eine weitere Scheibe Schinken hin, die er ihr sanft aus der Hand nahm. Er blickte zu ihr auf, wobei der Schinken wie eine zweite Zunge aus seinem Maul baumelte, und sie musste lachen, weil er mit seiner braunen Schnauze und den schwarz umrandeten Augen so süß und lustig aussah. »Zu viel Wimperntusche, Hund«, sagte sie zu ihm. Wie als Antwort bellte er kurz und ließ dabei den Schinken fallen. »Dummerchen«, sagte sie und gab ihm noch einmal das Schinkenstück, während der Hund sie anhimmelte und Phin komplett ignorierte. Sophie hielt ihm ein weiteres Stück Schinken vor die Nase.

»Dieser Hund ist ein richtiger Politiker«, meinte Phin. »Macht sich über die saftigen Stücke her und geht dann in Deckung.«

»Vielleicht sollte ich ihn einige Tage hier behalten, bis wir abfahren.«

»Sicher«, meinte er. »Aber geben Sie ihm bloß keinen Namen. Das ist immer fatal.«

»Okay«, erwiderte Sophie. »Hier, Hund, da hast du noch ein bisschen Schinken.«

Als Phin wieder zum Sprechen ansetzte, klang seine Stimme beiläufig.

»Sie nehmen sich also der ganzen Welt an, oder gilt das nur für Hunde und Amy?«

»Nur für Amy und meinen Bruder.« Sophie fuhr fort, den Hund zu füttern.

»Und wer kümmert sich um Sie?«, wollte Phin wissen. Erstaunt blickte Sophie auf. »Sie sind hier, weil Amy und Clea dieses Video drehen möchten, und Sie füttern einen Hund mit Schinken, von dem Sie sich gar nicht sicher sind, ob Sie ihn mögen. Wer kümmert sich um Sie? Wann kommen Sie auf Ihre Kosten?«

»Ich kümmere mich selbst um mich«, sagte sie und funkelte ihn an. »Und ich kann sehr gut auf mich selbst aufpassen, und ich bekomme immer, was ich will.« Verzieh dich, Typ.

»Natürlich.« Abrupt stieß Phin sich von dem Pfosten ab. »Viel Glück mit dem Hund.«

Er ging auf die Vorderveranda zurück, und Sophie fühlte sich schuldig, weil sie ihn schon wieder vertrieben hatte, aber da stupste der Hund ihre Hand mit seiner Nase an, um weiter gefüttert zu werden. Als auch das letzte Stück Schinken verschwunden war, tätschelte Sophie ihm aufmunternd den Kopf. Der Hund schaute sie mit einem Blick an, der zu sagen schien, Das hast du noch nicht oft gemacht, stimmt‘s? »Ich hatte nie einen Hund«, erklärte Sophie ihm. Er gab einen Seufzer von sich und kuschelte sich an sie, wobei er ihre Khaki-Shorts mit Dreck beschmierte. Sie streichelte ihn noch einmal und ging dann in die Küche zurück, wo sie ihr PowerBook aufklappte, um einen Plan für das Video zu entwerfen.

Inzwischen hatten die Lutzes auf der Veranda irgendeinen alten Streit vom Zaun gebrochen. Der Hund hatte draußen vor der Fliegentür Stellung bezogen und beobachtete sie. Sie saß vor ihrem Notebook und starrte zurück.

Sie konnte sich nicht entsinnen, jemals den Wunsch nach einem Hund gehabt zu haben. Bei ihrem unsteten Leben wäre das ohnehin unmöglich gewesen; das Letzte, was sie und ihre Mutter hätten gebrauchen können, wäre noch jemand gewesen, um den sie sich kümmern mussten. Mit siebzehn war sie dann in dieser winzigen Wohnung gelandet und hatte versucht, Davy und Amy großzuziehen. Da war ein Hund nun wirklich das Letzte gewesen, das sie brauchte.

Aber da war etwas Gewisses in der geduldigen Art, mit der dieser Hund sie durch die Fliegentür ansah; er versuchte nicht, hereinzukommen, er schaute sie nur an. Von draußen.

Dann rollte er sich vor der Tür wieder auf den Rücken, sodass alles, was sie sehen konnte, vier in den Himmel gerichtete weiße Stummelbeine waren. »Okay«, sagte Sophie und ließ ihn in die Küche. »Aber du bist ganz schmutzig, also halte dich von den Möbeln und allem fern.« Der Hund seufzte und kauerte sich zu ihren Füßen nieder, und als Amy ihren Namen rief und sie hinausging, folgte er ihr.

Amy stand hinter der Kamera und redete auf Phin ein, brach jedoch ab, als sie Sophie aus dem Haus kommen sah. »Wir haben ein Problem«, sagte sie, als Sophie zu ihr trat. Dann erblickte sie den Hund. »Cool. Ein Hund.« Sie betrachtete ihn näher. »Glaube ich zumindest.«

Wes kam heraus und schlug die Fliegentür hinter sich zu. »Ich habe den Brausekopf im Badezimmer erneuert«, sagte er zu Amy, während er die Treppe herunterstieg. »Aber um den Abfluss in der Dusche müssen wir uns noch kümmern. Ich komme morgen wieder.«

»Oh, also -«, begann Sophie, doch Amy sagte: »Super.«

»Ich glaube, um Ihre Gäste müssen Sie sich auch kümmern«, meinte Phin. Sophie wandte sich zur Veranda um, wo die Lutzes eine jener eindringlichen Konversationen im Flüsterton führten, wie Ehepartner, kurz bevor sie einander umbringen.

»Genau das ist das Problem, weshalb ich dich gerufen habe«, sagte Amy zu Sophie. »Wir sind vielleicht ein bisschen zu weit gegangen.«

»Dafür gebe ich Ihnen die Schuld«, meinte Phin. »Bevor Sie herkamen, haben sie das nur getan, wenn sie zu viel getrunken hatten.«

»Gut«, sagte Sophie. »Jetzt machen sie es in aller Öffentlichkeit. Wir befreien Temptation von der Heuchelei.«

»Ein wenig Heuchelei hat noch nie jemandem geschadet«, erwiderte Phin.

»Sie sind der geborene Politiker, stimmt‘s?« Sophie ging in Richtung Veranda. »Oder mussten Sie daran arbeiten, um diesen Grad der Unmoral zu erreichen?«

»Oh, das wurde mir in die Wiege gelegt«, antwortete Phin und klang leicht erbost.

Sophie stieg die Stufen zu den Lutzes hinauf, wobei ihr der Hund auf den Fersen folgte. »Wir sind ja so dankbar, dass Sie uns bei dem Film helfen, dass wir ganz vergessen haben, Ihnen etwas zu essen anzubieten. Darf ich Ihnen ein Sandwich machen?«

»Oh.« Georgia versteifte sich ein wenig. »Oh, nein, wir müssen jetzt sowieso gehen. Trotzdem vielen Dank für das Angebot.«

»Nun, schließlich müssen wir für das leibliche Wohl unserer Talente sorgen.« Sophie lächelte sie an, und Georgia errötete vor Freude und erwiderte ihr Lächeln.

»Talent ist gut.« Frank bedachte seine Frau mit einem geringschätzigen Blick.

»Amy meint, Sie beide sehen großartig durch die Kamera aus«, schwindelte Sophie. »Vielleicht können Sie ja morgen wiederkommen?«

»Darauf können Sie wetten.« Franks Miene erhellte sich, und sogar Georgia schien ein wenig aufzutauen.

»Wir tun alles« was wir können, um zu helfen.« Georgia sah Sophie mit vorbehaltloser Bewunderung an. »Vielleicht haben Sie ja auch eine Verwendung für Rob.«

Sophie blickte in den Garten zu dem Kombi, an den gelehnt Clea lachend zu dem völlig verblendeten Rob aufsah. »Ich bin sicher, dass wir ihn einsetzen«, murmelte sie.

»Das war sehr nett von Ihnen«, sagte Phin, nachdem die Lutzes gegangen waren und Sophie auf den Verandastufen Platz genommen hatte. Der Hund hatte es sich neben ihr gemütlich gemacht und ließ den Blick, die wie geschminkt wirkenden Augen vor Zufriedenheit halb geschlossen, über den Garten schweifen, als gehöre er ihm.

»Ich bin ein netter Mensch«, sagte Sophie und reckte ihr Kinn vor.

»Wissen Sie, allen gegenteiligen Beweisen zum Trotz glaube ich das auch.« Er beugte sich vor, um den Hund zu streicheln. Sein Gesicht befand sich so nahe vor dem ihren, dass Sophies Herz heftig zu pochen begann. »Was ich nicht verstehen kann, ist, warum Sie so schrecklich nervös sind.«

»Ich hatte in letzter Zeit sehr viel Stress.« Sophie rutschte eine Stufe höher, und der Hund folgte ihr, um weiter in ihrer Nähe zu sein. »Und ich stamme aus einer sehr nervenschwachen Familie.« Sie dachte an ihren Vater und Davy und Amy, allesamt absolut kaltschnäuzig, und der Ehrlichkeit wegen setzte sie hinzu: »Nun, wenigstens einige der Dempsey-Frauen sind übernervös.«

»Ein Wochenende auf dem Land sollte da Abhilfe schaffen«, meinte Phin und ließ sie nicht aus den Augen, während er den Hund hinter dem Ohr kraulte. »In Temptation gibt es nichts Nervenaufreibendes.«

Nur dich, dachte Sophie, und er grinste sie an, als könne er ihre Gedanken lesen.

»War nett mit Ihnen, Sophie Dempsey«, sagte er und richtete sich auf, um sich zu dem Wagen zu begeben, wo Wes bereits auf ihn wartete.

»Gleichfalls«, antwortete Sophie, während sich ihr Puls langsam wieder beruhigte. »Und falls wir uns nicht mehr sehen sollten, vielen Dank für Ihre Hilfe.«

»Oh, Sie werden mich wieder sehen«, sagte Phin, ohne sich umzudrehen.

»Klasse.« Sophie schaute ihm nach, einerseits froh, dass er endlich verschwand, andererseits den Anblick seines knackigen Hinterns genießend.

Amy trat zu ihr, um sich mit ihr gemeinsam an dem Anblick zu erfreuen. »Das war‘n Tag, was?«

»Würdest du mir noch einmal erklären«, sagte Sophie, »was mit ›nur wir drei‹ geschehen ist?«

Amy zuckte mit den Schultern. »Du hast den Hund eingeladen.«

Sophie sah auf den Hund hinunter, der mit seinen Kleopatra-Augen ihren Blick voll inniger Verehrung erwiderte.

»Der Hund bleibt noch ein Weilchen«, sagte Sophie. »Der Bürgermeister verschwindet.«

Als Sophie an diesem Abend ihre Dusche nahm und sich währenddessen in ununterbrochenen Lobpreisungen über Wes wegen des neuen regulierbaren Brausekopfes erging, stellte der Hund seine Vorderpfoten auf den Badewannenrand und winselte. Er war so verdreckt und sah derart Mitleid erregend aus, dass Sophie »Okay« seufzte und ihn zu sich in die Wanne hob und abspritzte, und er sichtlich das Wasser genoss, bevor sie ihn mit Eukalyptus-Lavendel-Shampoo einseifte. Eine halbe Stunde später saßen sie beide geföhnt in der Küche und genossen die leicht abgekühlte Nachtluft, die durch die Fliegengittertür strömte, wobei der Hund den Eisriegel, den Sophie sich gerade einverleibte, nicht aus den Augen ließ. Sophie leckte an der Eiscreme und begann erneut, sich Sorgen zu machen wegen des Unfalls, des Films und des Bürgermeisters.

Sie wurde noch immer von quälenden Gedanken geplagt, als Amy in ihrem Babydoll-Pyjama die Treppe herunterkam. Nicht viel anders hatte sie mit zehn ausgesehen. Sie setzte sich Sophie gegenüber auf den Stuhl und zog ihre Knie zum Kinn hoch.

»Wir brauchen eine Liebesszene«, sagte Amy. »Clea will eine haben.«

»Eine Liebesszene.« Damit hätte sie rechnen müssen, das sah Clea ähnlich. Als Ersatz für Clea bedachte Sophie die Tapete mit einem finsteren Blick. »Ich kann keine Liebesszene schreiben. Vor allem nicht, wenn diese verdammten Dinger mich anstarren.«

»Du kannst doch ein kreatives Tief nicht mutierten Riesenkirschen in die Schuhe schieben«, sagte Amy, bevor sie innehielt und murmelte: »Oh. Kirschen.«

»Was?«, fragte Sophie, und Amy erwiderte: »Du weißt schon. Kirschen. Und Chet.«

»Chad«, berichtigte Sophie und lehnte sich ein wenig betroffen zurück. »Das ist es nicht, da bin ich sicher.« Sie sollte Brandon fragen. Er wusste alles über ihr Unterbewusstsein. Mit gerunzelter Stirn blickte sie zu dem Wandapparat. Sie hätte Brandon bereits früher anrufen sollen, aber sie hatte ihn schlichtweg vergessen.

Unbehaglich rutschte Amy auf ihrem Stuhl hin und her. »Clea hat beschlossen, dass Rob ihr Liebhaber sein soll. Sie meint, er ist für das, was ihr vorschwebt, besser geeignet.«

»Darauf wette ich.« Sophie dachte kurz darüber nach und nickte. »Sie kommt also zurück, um ihren Freund aus Jugendtagen wieder zu sehen, und verliebt sich in dessen Sohn. Ein großes Konfliktpotenzial.

Sie dachte die Sache zu Ende. »Ach du meine Güte, ein großes Konfliktpotenzial. Frank wird einen Anfall bekommen.«

»Wenn wir es richtig anstellen, kriegt er es gar nicht mit«, meinte Amy. »Schreib einfach eine nette Verführungsszene, die wir schnell abdrehen können.«

Sophie richtete sich auf und drückte eine Taste auf ihrem Power Book, um den Ruhezustand zu beenden. »Wer verführt wen?«

»Machst du Witze? Clea ist eine altmodische Frau. Er verführt natürlich sie.«

»Also machen wir keine Dokumentation.« Sophie begann, die Kopfzeile der Szene einzutippen, und Amy wandte sich abrupt ab und stand auf. »Hey, was ist los?«, wollte Sophie wissen.

»Nichts«, erwiderte Amy.

Sophie wies auf den Stuhl. »Setz dich.«

Amy setzte sich, ließ die Füße diesmal jedoch auf dem Boden.

»Ich bin sehr geduldig«, sagte Sophie, »aber du verheimlichst mir doch etwas, und das finde ich sehr, sehr kindisch von dir. Du weißt doch, dass ich hinter dir stehe, egal, worum es geht. Was hast du vor?«

»Ich mache eine Dokumentation«, beharrte Amy.

Sophie lehnte sich zurück. »Du machst eine Dokumentation über Cleas Heimkehr nach Temptation?«

»Nein, darüber drehe ich einen Film. Ich mache eine Dokumentation über die Entstehung des Films.« Amy beugte sich vor. »Das ist eine Wahnsinnsidee, Soph. Ich wollte dir nichts davon sagen, weil ich wollte, dass du dich für die Dauer des Films völlig natürlich benimmst -«

Dauer des Films? »Einen Augenblick mal.«

»- aber du wirst einfach nicht glauben, wie großartig das alles schon ist. Diese Geschichten über das erste Mal, die wir gestern ausgetauscht haben, kommen wirklich Klasse - nun ja, vielleicht ein bisschen dunkel, aber sehr stimmungsvoll mit Clea, die im Kerzenlicht sitzt, und ich kann das, was sie erzählte, als Vertonung im Hintergrund benutzen -«

»Amy!«

Amy brach ab, und Sophie bemühte sich, sich im Zaum zu halten. »Du hast mich gestern Abend auf der Veranda gefilmt?«

»Uns alle«, erklärte Amy. »Ich habe die Kamera in den Büschen deponiert. Das ist wirklich ein toller Stoff, Soph. Heute habe ich dann Frank interviewt und ihn in die Kamera sprechen lassen. Er kommt wirklich als der Trottel rüber, der er ist.«

»Ist das fair? Hat er gemerkt, dass -«

»Er wusste, dass die Kamera lief. Er hat eine Freigabeerklärung unterschrieben. Wir werden so viel Stoff zum Zusammenschneiden zusammenkriegen, das wird großartig.«

Sophie beugte sich vor. »Amy, du legst diese Leute herein. Sie unterschreiben Freigabeerklärungen, weil sie denken, dass sie in ein positives Licht gesetzt werden, und du -«

»Ich lege sie nicht herein«, widersprach Amy entrüstet. »Und selbst wenn, nehme ich von niemandem Geld. Ich filme nur, was sie sagen. Ich ändere ihre Worte nicht. Ich kriege nur, was ich will.«

»Du musst auch an andere Leute denken«, mahnte Sophie sie, und Amy erwiderte: »Nein, das waren Mom und du, die sich ewig um andere Sorgen machten. Davy, Daddy und ich wussten, dass es zwecklos ist, sich um andere zu sorgen, und man sich deshalb ebenso gut nur um sich kümmern kann.

Außerdem tue ich niemandem weh. Sie reißen sich doch alle darum, in dem Film mitzuspielen.«

Sie war ihrem Vater so ähnlich - diese geballte Unschuld eines Rotschopfs, dieses Umgarnen von Menschen mit dem typischen Dempsey-Lächeln der bis zuletzt seine Überzeugung kundgetan hatte, dass es nicht seine Schuld sei, wenn sie ihm Vertrauen schenkten, und dass er nie, wirklich niemals gelogen habe.

Aber jeder, der seinen Weg gekreuzt hatte, war auf irgendeine Weise auf der Strecke geblieben.

»Sophie, das ist wahre Filmkunst«, sagte Amy und beugte sich im Brustton der Überzeugung näher. »Diese Hochzeitsfilme zu drehen war eine tolle Sache, aber wir machen das nun schon seit sieben Jahren, und ich habe alles daraus gelernt, was es zu lernen gibt. Jetzt will ich etwas anderes machen. Das ist meine Chance, ganz groß rauszukommen. Vielleicht die einzige Chance, die ich bekommen werde.«

Amys Herz sprach aus ihren Augen, und Sophie atmete tief durch und dachte, Ich wusste, dass sie eines Tages dieser dämlichen Hochzeiten überdrüssig werden würde. Der Gedanke, dass Amy weggehen würde, war schmerzlich, ein Leben ohne sie nahezu unvorstellbar, aber die Vorstellung, dass sie blieb, obwohl sie lieber gehen wollte, war noch schlimmer.

»Ich will die Dokumentation schneiden und nach L. A. gehen, um damit den Einstieg ins Geschäft zu schaffen«, fuhr Amy fort. Sie schien die Luft anzuhalten, während sie darauf wartete, dass Sophie etwas sagte.

Hast du den Verstand verloren? wäre nicht gerade ermutigend. »L. A. ist ein hartes Pflaster.«

»Ich weiß.« Amy nickte eifrig mit dem Kopf, um ihre Zustimmung kundzutun. »Aber Davy ist dort. Er kann mir helfen. Das wäre sowieso an der Zeit.« Ihr Lächeln schwand. »Aber was wird aus dir, wenn ich fortgehe?«

Sophie zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Wahrscheinlich muss ich zur Abwechslung mal an mich denken.« Nachdem ich aufgehört habe, mir deinetwegen Sorgen zu machen.

»Hast du denn gar keine Träume?«, fragte Amy. »Gibt es denn gar nichts, was -«

»Nein«, unterbrach Sophie sie. Wenn sie recht darüber nachdachte, war das traurig. Zweiunddreißig Jahre alt, und keinen blassen Schimmer, was sie vom Leben erwartete. Sie dachte an Phin auf der Hinterveranda. Vielleicht war seine Frage gar nicht so klugscheißerisch gemeint gewesen.

»Wirst du das Geschäft verkaufen?«, wollte Amy wissen.

»Wahrscheinlich«, meinte Sophie.

»Kann ich die Hälfte haben?«

Sophie blinzelte sie an. »Natürlich. Was denkst du denn?«

»Ich dachte, du könntest das Geld besser gebrauchen«, sagte Amy. »Ich werde Karriere machen, aber du sitzt irgendwo fest.«

Autsch. »Du kriegst die Hälfte«, sagte Sophie. »Ich werde schon vorwärts kommen.«

»Danke«, sagte Amy. »Ich meine das ernst. Danke.«

»Gern geschehen«, erwiderte Sophie. »Lass uns jetzt schlafen gehen.«

Zögernd stand Amy auf, als wolle sie noch etwas sagen. Dann beugte sie sich vor und schlang ihre Arme um Sophies Hals.

»Ich hab dich so lieb, Soph«, flüsterte sie.

»Ich dich auch, Arne«, antwortete Sophie und tätschelte ihren Arm, während sie nach Luft schnappte. Das ist der einzige Grund, warum ich dich gehen lasse.

Nachdem Amy nach oben gegangen war, lehnte Sophie sich zurück und dachte über ihre Zukunft nach. Sie machte sich keine Sorgen; clevere, organisierte und hart arbeitende Menschen fanden immer einen Job. Aber sie wollte keinen Job, sie wollte das, was Amy vor sich hatte, eine Karriere, die sie ausfüllte.

Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie nur deshalb niemals überlegt hatte, wer oder was sie sein wollte, weil sie so viel Zeit damit verbracht hatte, was sie nicht sein wollte: eine Dempsey. Sie dachte daran, was Davy tat: Kleine Betrüger, die es zu Reichtum gebracht hatten, um ihr undurchsichtiges Vermögen bringen. Aber das reizte sie nicht. Nun, das war gut so. Aber wenn sie sich ein wenig öffnete, könnte sie die Gene der Dempseys vielleicht in produktive und amüsante Bahnen lenken, wie Amy es getan hatte, indem sie die Schwachstellen der Leute im Film festhielt.

Wenn sie sich vielleicht nur ein wenig dem Leben öffnete, könnte auch sie ihren Spaß haben. Es musste doch irgendetwas in ihrem Leben geben, das ihr Amüsement bot. Sie dachte an den Bürgermeister, wie er sie lässig, unbekümmert und ohne Ansprüche angelächelt hatte, und ihr Puls raste in die Höhe. Er wäre durchaus amüsant.

Das war ein gefährlicher Gedanke, daher genoss sie ihn nur eine rebellische Minute lang, bevor sie sich fing und, den Hund auf den Fersen, die Treppe hinauf ins Bett ging.

Das Letzte, was sie brauchte, war der Bürgermeister.

Am Freitag begann der Ärger für Phin früh.

Zunächst machte ihm seine Mutter beim Frühstück Vorhaltungen, weil er zweimal draußen auf der Whipple-Farm gewesen war.

»Mit diesen Filmleuten zu verkehren kann dir nur Nachteile bringen«, hatte Liz zu ihm quer über den großen, mit weißem Leinen gedeckten Esstisch gesagt. »Stephen hat es mir gegenüber bereits einige Male erwähnt. Gib ihm kein Druckmittel in die Hand, Phin.«

»Was heißt, ›verkehren‹?«, fragte Dillie, den Mund voll mit einem Vollkorn-Muffin.

»Herumhängen mit«, erklärte Phin.

»Sprich nicht mit vollem Mund«, ermahnte Liz sie. »Das ist ungezogen und unmanierlich.« Sie wandte ihre Aufmerksamkeit erneut Phin zu. »Fahr nicht wieder zur Farm hinaus.« Zwar setzte sie nicht hinzu, Das ist ungezogen und unmanierlich, aber die unausgesprochene Bedeutung war klar.

»Ich habe nicht mit ihnen verkehrt«, sagte Phin, während er Dillie noch einen Muffin mit Butter bestrich. »Ich bin am Mittwoch mit Wes dort gewesen, um mich wegen des Unfalls zu informieren, und gestern war ich wieder dort, weil Wes mich dazu verdonnert hat, nach ihrer Stromversorgung zu sehen.« Liz wollte etwas sagen, doch er fuhr fort: »Außerdem möchte ich darauf hinweisen, dass ich über einundzwanzig bin und du deshalb aufhören kannst, mir wegen meines Umgangs Vorhaltungen zu machen. Sprich lieber mit Dillie über diese Jamie Barclay. Ich habe große Zweifel, was Jamie Barclay betrifft.« Er grinste Dillie an und reichte ihr den Muff in.

»Jamie Barclay ist ein vortreffliches Mädchen«, sagte Dillie und nahm den Faden auf. »Ich sollte mit ihr verkehren.«

»Jamys Stiefvater ist der neue Vizepräsident der Third National«, mischte sich Liz ein. »Ihre Mutter ist dem Ladies‘ Club beigetreten, sie ist eine sehr nette Person. Dillie darf mit ihr verkehren.« Sie lächelte Dillie zu und beugte sich vor, um die Butter vom Kinn ihrer Enkelin zu wischen. »Du hast deinen Mund verfehlt«, sagte sie, und Dillie grinste zurück. Dann wandte sich Liz wieder Phin zu. »Nun aber zu diesen Filmleuten -«

»Ich muss jetzt in den Buchladen.« Phin schob seinen Stuhl zurück. Er küsste Dillie auf die Stirn und sagte, »Sei schön brav«, doch Liz folgte ihm nach draußen auf die breite Vorderveranda, bevor er flüchten konnte.

»Ich möchte das nicht vor Dillie diskutieren«, sagte sie, »aber ich kenne dich und die Frauen. Es ist eine Sache, Liebschaften außerhalb der Stadt zu haben, aber es ist etwas anderes, hier etwas mit einer Frau anzufangen, von der wir nichts wissen -«

»›Liebschaften‹?« Ungläubig drehte Phin sich um. »Lieber Himmel, ich habe nur eine lächerliche Sicherung ausgetauscht.« Okay, es hatte ihn auch nach einer feindseligen Frau gelüstet, aber er hatte nichts in dieser Richtung unternommen.

»Jetzt schau nicht so entrüstet drein«, sagte Liz. »Ich kenne dich und mache mir Sorgen um dich. Es ist schon lange an der Zeit, dass du häuslich wirst. Dillie braucht eine Mutter, und diesmal möchte ich, dass du eine ehrbare Frau heiratest. Du bist fast vierzig, Phin.«

»Ich bin sechsunddreißig«, antwortete Phin. »Und ich hege keinerlei Absicht, wieder zu heiraten, und selbst wenn, käme Rachel Garvey mit Sicherheit nicht in Frage. Ich weiß doch, dass du darauf hinauswillst. Dabei fällt mir ein, hör bitte auf, vor Dillie über Rachel zu sprechen. Du regst sie damit nur auf.«

»Ich habe nie etwas Derartiges gegenüber Dillie verlauten lassen«, verteidigte sich Liz.

»Nun, sie hat gute Ohren, und sie ist nicht dumm. Vergiss diese Idee mit Rachel einfach.« Missbilligend schüttelte er den Kopf. »Was ist nur in letzter Zeit mit dir los? So verbohrt bist du nie gewesen.«

»Ich finde, du solltest vor der Wahl heiraten«, sagte Liz. »Hochzeiten sind populär. Und -«

»Hast du noch alle Tassen im Schrank?«

Liz brach ab, und auf ihren Wangen erschienen zwei dunkelrote Flecken. »Phineas Tucker, das ist keine Art, mit deiner Mutter zu reden.«

»Ebenso wenig ist das eine Art, mit deinem Sohn zu reden.« Phin hielt ihren Blick fest, und sie besaß den Anstand, noch mehr zu erröten. »Ist dir klar, was du da gesagt hast? Du willst, dass ich eine Frau heirate, die ich nicht liebe, damit du die nächste Wahl gewinnen kannst und einen Enkel bekommst, der diejenige in dreißig Jahren gewinnen wird.«

Liz‘ Röte vertiefte sich. »Wenn du selbst eine akzeptable Frau finden würdest, würde ich mich nicht einmischen. Aber ich sehe das Problem nicht. Du magst Rachel doch, sie ist ein wirklich nettes Mädchen, sie ist intelligent und versteht sich prächtig mit Dillie.«

»Dillie ist da anderer Meinung, und Rachel ist genauso wenig wie ich an einer Heirat interessiert, also schlag dir das endlich aus dem Kopf.«

»Rachels Mutter behauptet das Gegenteil.« Liz holte zum letzten Schlag aus. »Sie sagt, Rachel sei nur schüchtern, aber du bedeutest ihr viel.«

»Rachel ist schüchtern?« Phin musste lachen. »Rachel ist ein Barrakuda. Und sie will mich nicht heiraten. So wie ich Rachel einschätze, will sie bloß weg von Virginia und Stephen.«

»Unsinn«, widersprach Liz. »Rachel steht ihren Eltern sehr nahe.«

»Deshalb will sie ja weg.« Phin machte sich auf, den Hügel hinunterzugehen. »Ich muss jetzt zur Arbeit. Versuche doch bitte, wieder zu Verstand zu kommen, bevor ich nach Hause zurückkomme.«

»Ich will doch nur das Beste für dich«, rief Liz ihm nach.

»Das sind die Worte, die jeder Sohn hasst«, rief er zurück.

Es war gut, dass er seine Mutter liebte, dachte er, während er den Hügel hinunter zum Buchladen ging. Andernfalls hätte er sie schon vor langer Zeit in ein Heim für politisch Verwirrte gesteckt. Das Problem war, dass sie zu tief im Erbe der Tuckers verwurzelt war. Sein Vater war versessen darauf gewesen, aber das war wenigstens verständlich, weil er mit einem Karton voller Poster Wählt Tucker zum Bürgermeister: Mehr von dieser Sorte als Kindersitz aufgewachsen war. Aber Liz war eine Yarnell. Leute vom Hügel. Sie sollte einen gewissen Abstand zur Politik bewahren.

Nur, dass sie seinen Vater so sehr geliebt hatte. Phin verlangsamte seinen Schritt ein wenig, als er an das innige Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen den beiden dachte. Sie waren derart ineinander und in der Politik aufgegangen, dass sie darüber beinahe ihren Sohn vergessen hatten. Er konnte sich an wenige Augenblicke erinnern, in denen er die volle Aufmerksamkeit seiner Eltern genossen hatte - wie zum Beispiel an dem Tag, an dem er im Kindergarten verkündet hatte, er wollte Feuerwehrmann werden; an diesem Nachmittag hatten sie stundenlang auf ihn eingeredet -, aber meistens hatte sich alles um die beiden allein gedreht, sie beide gegen den Rest der Welt.

Und nun war sie allein. Er drehte sich noch einmal nach ihr um, doch sein Blick wurde durch den Wasserturm abgelenkt, der sich hinter den Häusern zwischen den Bäumen erhob.

Er war knallrot.

»Ach du Scheiße«, stieß er hervor und beschleunigte seine Schritte, um herauszufinden, was nun schon wieder schief gelaufen war.